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Mit Bakterien und Enzymen gegen Schlamm im Wasser

Ein Mann hält einen Schlauch, aus dem eine Flüssigkeit in ein Gewässer fließt.

Eine dicke Schlammschicht gefährdet das Leben der Tiere im Rüsselsheimer Horlachgraben. Dagegen hat die Stadt ein wirksames Mittel gefunden: hungrige Bakterien. Der Erfolg lässt andere Kommunen aufhorchen.

Es sieht reichlich unappetitlich aus, was da aus einem Schlauch in die Horlache in Rüsselsheim (Groß-Gerau) gespritzt wird. Doch die schwarz-braune Plörre soll das Gewässer nicht verdrecken, im Gegenteil. Sie soll dafür sorgen, dass das Grabensystem wieder sauberer wird.

Über Jahre dicke Schlammschicht

Die Flüssigkeit enthält eine Vielzahl von Bakterien, die sich mit Genuss über das hermachen, was in der Horlache im Überfluss vorhanden ist: Schlamm. Mehrere Dezimeter hoch bedecken die Überreste aus Laub, Algen und toten Tieren den Grund des Gewässers.

"Diese großen Schlammmengen haben sich über Jahre angesammelt", erklärt Thomas Fester, Biochemiker der sächsischen Firma BluePlanet GmbH. Und sie sind ein Problem. Denn die Masse an organischem Material trübt das Wasser und nimmt ihm den Sauerstoff.

Gefahr für Tiere durch Sauerstoffarmut

Es bilden sich Faulgase wie Schwefelwasserstoff und Methan, wie Fester erklärt. Für Fische und andere Tiere, die in dem Wasser leben, kann die Sauerstoffarmut den Tod bedeuten.

Früher wurde der Schlamm aufwändig mit großen Schwimmbaggern ausgebaggert. Das hat nicht nur die Natur in dem Naherholungsgebiet beeinträchtigt, wie die Stadt betont. Auch die Kosten für die Entsorgung des Schlamms auf Deponien seien enorm gestiegen.

Bakterien ernähren sich vom Schlamm

Die Bakterien dagegen "fressen" den Schlamm. Mithilfe von Enzymen zersetzen sie das organische Material und ernähren sich von den Zersetzungsprodukten: Zucker, Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße. In der Folge wird das Wasser wieder klarer.

Eigentlich ist das ein natürlicher Prozess. In der Horlache ist das System aber längst aus dem Gleichgeweicht geraten. Hier hat sich der Schlamm über die Jahre viel schneller abgelagert, als er abgebaut werden konnte.

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Horlachgraben

Der Horlachgraben - oder: Horlache - ist ein alter Seitenarm des Mains. Er dient zur Aufnahme von Regenwasser aus der Regenwasserkanalisation. Zudem ist er mit den anliegenden Spazier- und Radwegen ein naturnaher Erholungsraum. Er hat 13 Becken mit einer Gesamtlänge von zirka 5,5 Kilometern. Quelle: Stadt Rüsselsheim

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Die Gründe sind vielfältig: Zum einen fällt von den umstehenden Bäumen viel Laub ins Wasser. Nährstoffe aus der Landwirtschaft fördern das Algenwachstum. Und letztlich haben die heißen, trockenen Sommer die Situation verschärft.

Vielversprechendes Pilotprojekt

Das Bakterien-Verfahren von BluePlanet wurde in Rüsselsheim bereits im Sommer 2023 in einem Pilotprojekt getestet. In ein Becken der Horlache wurden in mehreren Durchgängen insgesamt 12.000 Liter der bakteriengetränkten Flüssigkeit eingebracht.

Das Ergebnis hat die Erwartungen übertroffen. Anstelle der erwarteten 20 Zentimeter wurden von Juli bis September 40 Zentimeter Schlamm durch die Bakterien abgebaut.

Stadt betont Unbedenklichkeit

Die Verantwortlichen hat das so zuversichtlich gestimmt, dass sie das Projekt jetzt großflächig ausgeweitet haben. In den kommenden Monaten sollen vier Becken der Horlache sowie der Ostparkweiher mit den Bakterien versetzt werden.

"Die eingesetzte Flüssigkeit ist für Flora und Fauna unbedenklich", betont die Stadt. Auch eine gelegentliche Rotfärbung des Wassers sei zu erwarten und kein Grund zur Beunruhigung. An den Gewässern würden Infotafeln aufgebaut, die das erklären.

Bakterien kommen auch im Darm vor

"Die Bakterien sind für die biologische Landwirtschaft zugelassen", ergänzt Fester. Bacillus subtilis etwa kommt auch im menschlichen Darm vor. Ein weiterer Bestandteil des Mittels ist laut Fester Bacillus amyloliquefaciens, das ebenfalls in der Landwirtschaft eingesetzt wird.

BluePlanet importiert die Bakterien als Pulver aus den USA. In Deutschland wird es dann bei 27 Grad aufbereitet. "Durch eine spezielle Anzuchtform hungern wir die Bakterien gewissermaßen aus", sagt Fester. "Dadurch sind sie besonders aktiv."

Feinste Blubberbläschen aus Solarplattformen

Unterstützt wird der Prozess diesmal durch eine zusätzliche, sogenannte "Nano-Belüftung": Fernüberwachte solarbetriebene Plattformen schwimmen auf dem Wasser und bringen Umgebungsluft in feinsten Bläschen in das Gewässer ein.

Das reichert zum einen das Gewässer mit Sauerstoff an, zum anderen fördert es den Zersetzungsprozess. "Im Grunde aktivieren wir damit einen natürlichen Prozess", erklärt Fester.

Gewässerschutzwart ist begeistert

Günther Hentrich macht aus seiner Begeisterung keinen Hehl. "Für uns ist das ein Sechser im Lotto", beschreibt der ehrenamtliche Gewässerschutzwart der Stadt Rüsselsheim den Nutzen des Verfahrens für die Horlache. "Wir haben einen großen Erfolg mit wenig Eingriff in die Natur."

Nicht nur die Wirksamkeit der Methode überzeugt ihn. Das Kostenverhältnis zwischen dem Zersetzungsverfahren und der Ausbaggerung sieht er bei eins zu sechs. Eine Ausbaggerung mit Deponieentsorgung koste pro Becken etwa eine Million Euro.

Stadt sieht hohes Sparpotenzial

Bei insgesamt 13 Becken, aus denen der Horlachgraben besteht, kann man da einiges sparen. Alle Becken sollen Hentrich zufolge in den kommenden Jahren nach und nach mit Bakterien entschlammt werden. "Das hält dann erstmal 15 bis 20 Jahre", ist sich der Gewässerschutzwart sicher.

Für dieses Jahr soll das Projekt - abhängig von der Wassertemperatur - bis September laufen. Denn laut Biochemiker Fester funktioniert das Verfahren nur bei einer Temperatur von mindestens neun Grad. "Darum kann man das nur im Sommer machen."

Ab dem Herbst werden die Ergebnisse dann erneut ausgewertet. Daran beteiligt ist auch die Hochschule Rhein-Main in Rüsselsheim. Sie begleitet das Projekt wissenschaftlich.

Weitere Kommunen interessiert

Weitere Interessenten stehen schon in den Startlöchern. "Wir haben eine konkrete Anfrage aus Darmstadt", berichtet Uwe Nimmrichter, Geschäftsführer von BluePlanet. Auch ein Vertreter der Stadt Frankfurt habe sich das Verfahren schon angeschaut. Laut Hentrich sind auch Raunheim und Kelsterbach interessiert.

Überhaupt sei die Nachfrage derzeit hoch, denn nach den milden Wintern und trockenen Sommern seien viele Gewässer verschlammt, sagt Nimmrichter. Zudem sei das patentgeschützte Verfahren sehr nachhaltig. "Wir arbeiten ja ausschließlich mit den Mitteln der Natur."

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